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Freundschaft mit Pferden!?

Jul 25, 2022

Würdest du sagen, dass du eine Freundschaft mit deinem Pferd hast? Und, ebenso wichtig, aber schwieriger zu beantworten: Würde dein Pferd das auch sagen? Die Verhaltenswissenschaft ist hier deutlich weiter als die meisten Pferdebesitzer und wir können viel von ihr lernen. Über Missverständnisse und Mythen, fällige Fragen und Chancen rund um die Beziehung zu unserem Pferd.

Stell dir vor, du hast eine gute Freundin namens Tina. Du hast Tina schon eine Weile nicht gesehen und lädst sie zu Kaffee und Kuchen ein. Tina bringt ihr Baby mit und reicht es dir vorsichtig rüber: “Magst du mal halten?” Natürlich möchtest du. Während der Kaffee kocht, setzt ihr euch dicht nebeneinander auf deine Küchenbank, du schaust in Tinas so vertraute Augen und ihr beginnt, euch gegenseitig auf den neuesten Stand zu bringen: Über eure Leben und alle gemeinsamen Themen. Dann stellst du den selbst gebackenen Apfelkuchen auf den Tisch. Tina ist begeistert und fragt direkt nach dem Rezept. Ihr verbringt einen tollen Nachmittag zusammen und geht abends selig auseinander, mit dem guten Gefühl, eure Freundschaft noch weiter gestärkt zu haben. 

Als Pferdemenschen sehen wir ja auch unsere Pferde gern als Freunde. Was tust du, um die Freundschaft mit deinem Pferd zu stärken? Als Menschen, die wir sind, neigen wir natürlich dazu, ähnlich vorzugehen, wie mit Tina oben. Wir gehen auf das Pferd zu und wollen ihm nah sein. Wenn wir extra freundlich sein wollen, füttern wir vielleicht das ein oder andere extra Leckerlie oder wir bereiten ein liebevoll dekoriertes Sonntags-Mash zu. Wir suchen den Blick des Pferdes. Wir streicheln es. Wir sprechen freundlich mit ihm. Wir “geben ihm einen Tag frei”. Wir putzen es besonders gründlich und probieren vielleicht sogar diese neue Massage-Technik aus, von der wir gelesen haben. Kurzum: Wir arbeiten unsere Liste freundschaftlicher Gesten ab, wie wir sie kennen. Alles sehr nett – aus Menschensicht. Das Problem ist nur: Pferde sind keine Menschen. Für Pferde sind diese Gesten mit Glück okay, mit weniger Glück unangenehm und übergriffig. Denn Pferde führen Freundschaften sehr anders als Menschen. 

Dr. Emily Kieson und Jessie Sams vom MiMer Centre in Schweden forschen bereits seit Jahren daran, wie sich das Pferd in unserer Obhut wirklich fühlt. Welche Umgangs- und Trainingsformen wie wirken. Und ob und wie eine Freundschaft zwischen Pferd und Mensch gelingen kann – zumal, wenn auch andere Faktoren, wie das Training und das Reiten eine Rolle spielen. 

“Anders als Hunde halten wir Pferde meist nicht primär für ihre Kameradschaft, sondern als Sportpartner oder sogar ‘Werkzeug’ um etwas Bestimmtes mit ihnen zu tun: ‘Was machst du mit deinem Hund?’ würde kaum jemand fragen, während die Frage ‘Was machst du mit deinem Pferd?’ als normal empfunden wird,” so Kieson. Und es ist nun mal so: Die meisten Pferde werden von uns Menschen “genutzt”. Im Fokus steht das Reiten, das Training, die gemeinsamen Aufgaben. Die Freundschaft, die sich die meisten Reiter durchaus wünschen, darf sich gern als Nebeneffekt einstellen. Ist das nicht auch nur fair, bei all dem Geld und der Zeit, die der Mensch investiert? Sie hat aber oft einen schalen Beigeschmack.

Wäre Tina auch deine Freundin, wenn euer Umgang miteinander vor allem darauf basiert, dass sie dir sagt, was du machen sollst? Neben ein paar für dich vor allem unbedeutenden Gesten (siehe oben)? Wäre Tina weiterhin deine “Freundin”, wenn dein Gehorsam (oder sagen wir: deine Kooperativität) Bedingung für den “freundschaftlichen” Umgang ist? Wenn Tina deine Chefin wäre, ließe sich das noch tolerieren – sofern du mit solchen recht “traditionellen” Führungsmethoden klarkommst. Aber wird Tina dadurch auch zu deiner Freundin…? Würdest du sie von Herzen zu deinem Geburtstag einladen? Und warum nur sollte das bei Pferden anders sein? Es ist an der Zeit, dass wir das Kommunikations- und Bindungsverhalten unserer Pferde besser sehen und interpretieren lernen. Und uns klar darüber werden, welche Rolle wir im Leben unseres Pferdes spielen wollen. 

Welche Rolle wollen wir im Leben unserer Pferde spielen?

Glücklicherweise sickert in Reiterkreisen langsam durch, dass wir doch nicht der “Chef” des Pferdes sein müssen, um erfolgreich mit ihm umzugehen. Weniger bekannt ist, dass Pferden das Hierarchiedenken, das wir ihnen oft unterstellen, vollkommen abgeht. Pferde denken nicht in Rangordnung, es gibt keine ranghöheren oder rangniedrigen Pferde und auch unter ihnen keinen “Chef”, dem alle unterstellt sind. Vielmehr sind “Pferdeherden ein kompliziertes Geflecht aus Individuen und individuell gestalteten Zweier-Beziehungen. In menschlicher Obhut ist ihr Verhalten zudem maßgeblich geprägt durch die raren Ressourcen: Platz und Futter. Es gibt Pferde, die brauchen mehr Platz um sich herum als andere – und manchmal auch mehr, als ihnen insgesamt zur Verfügung steht. Diese Pferde verteidigen ihren Raum ziemlich vehement gegenüber den meisten anderen Pferden. Manche Pferde, sind auch besser darin, sich Futter zu sichern und andere davon fernzuhalten. Sie haben gelernt, dass aggressives Verhalten zu einer Futterbelohnung führt. Das dadurch entstehende Verhalten wird oft als dominant interpretiert.”

“Es geht dabei jedoch nicht um Hierarchien, nicht um das Verhältnis der Pferde zueinander, nicht um Charaktereigenschaften und um Sicherung eines Status, sondern um situatives Verhalten und um die knappe Ressource Futter,” so Dr. Emily Kieson. “‘Anführer’ unter den Pferden, etwa in unbekannte Situationen hinein oder zu neuen Ressourcen, werden situativ zu solchen, weil andere Pferde ihnen folgen. Weil genug andere Pferde sie in der jeweiligen Lage für einen guten Anführer halten – nicht, weil sie sich zuvor als Anführer positioniert haben.” Der Stress, den wir in den Herden beobachten, entsteht also nicht durch dadurch “das Pferde eben so sind” – sondern durch unsere Haltungsformen. 

Ich weiß – dieses Wissen einsickern zu lassen und das Verhalten unserer Pferde fortan unter diesem neuen Filter zu betrachten, fühlt sich ein bisschen an, als würden wir uns willentlich den Kopf brechen. So ging es mir zumindest, nachdem auch ich jahrzehntelang Pferdeverhalten ganz anders gesehen habe. Aber was bietet es für Chancen, die Tiefen und die Bandbreite des Pferdeverhaltens kennenzulernen?

Pferde formen enge Freundschaften untereinander.

(C) Xenia Bluhm

Wie führen Pferde Freundschaften? 

Die individuellen Zweier-Beziehungen in den Herden formen sich durch gemeinsam verbrachte Zeit, gegenseitige Beobachtung und Konsistenz im Verhalten zueinander. Jedes Pferd ist etwas anders in seiner Kommunikation und seinem Verhalten, dadurch gleicht auch kein Pferde-Paar dem anderen. Pferde kommunizieren zumeist über ihren gesamten Körper miteinander und sind Meister der strategischen Positionierung. Befreundete Pferde stehen oft gern eng zusammen und bewegen sich gemeinsam. Das gegenseitige Fellkraulen, das wir so oft als eindeutiges Zeichen für Pferdefreundschaften interpretieren, findet nicht in jeder Freundschaft statt. Außerdem wird es oft nach Stresssituationen beobachtet, so dass angenommen werden darf, dass es sich um ein gezieltes Stressabbauverhalten handelt, das in menschlich geschaffenen Umgebungen auch häufiger vorkommt, als in freier Natur. 

Positive, d.h. bei Pferden auch immer: gegenseitige, Berührung findet unter Pferden ohnehin nur auf Grundlage von Vertrauen und einer gemeinsamen Kommunikation statt. Geht ein Pferd aus dem Kontakt heraus, endet der Kontakt. “Pferde nehmen zu jeder Zeit sehr genau wahr, wie sich die Pferde in ihrer Umgebung verhalten und reagieren entsprechend. Auch dadurch schaffen sie Vertrauen – sie achten aufeinander und gehen aufeinander ein.,” so Jessie Sams. Einseitige Berührungen sind meist negativ besetzt und sehr kurzfristig. Pferde nutzen sie, um die eigenen Grenzen zu setzen, was von Natur aus meist schnell geht und dann grundsätzlich erledigt ist. Gestresste Pferde und bspw. auch früh abgesetzte Pferde zeigen dieses aggressive Verhalten aber deutlich häufiger. Auch wichtig zu bedenken: Befreundete Pferde berühren einander niemals in negativer Weise oder jagen sich (außer im Spiel).

Und auch mit dem Apfelkuchen könnten wir nicht wirklich punkten, wenn Tina ein Pferd wäre – zumindest nicht im Sinne der Freundschaft selbst. “Während befreundete Pferde gerne ihren Raum miteinander teilen, spielt das Teilen von Nahrung unter Pferden keine Rolle für die Bindung zueinander,” so Jessie Sams. Kein Wunder: In der Welt, aus der unsere Pferde kommen, ist ja auch reichlich Nahrung da. Natürlich fressen Pferde gerne, zumal, wenn sie hungrig sind (was sie generell tatsächlich öfter sind, als wir ihnen zugestehen). Aber sie verbinden die Fresserfahrung nicht mit der “gebenden Hand”. “Sobald der Geschmack weg ist, ist es auch die Assoziation mit dem Fütternden,” so schildert Kieson ihre Erkenntnisse. Kein Pferd mag uns also umso, je mehr wir es füttern. Schade, eigentlich. Oder: Gut. Denn das heißt, dass wir kein Futter brauchen, um von unseren Pferden als bessere Freunde wahrgenommen zu werden. Wir können ihnen einfach begegnen, als das was wir sind: Andere Wesen in (zumeist) freundlicher Mission.

Aber wie freundlich ist diese Mission in den Augen des Pferdes? “Die Antwort auf diese Frage muss sehr differenziert betrachtet werden – sie variiert von Mensch-Pferd-Paar zu Mensch-Pferd-Paar und sicher auch im Zeitablauf und in unterschiedlichen Situationen”, so Jessie Sams. Grundsätzlich ist es gut, sich diese Frage überhaupt zu stellen. Um sie zu beantworten, braucht es nicht nur Kenntnisse über Pferdeverhalten und -kommunikation, sondern auch Beobachtungen des jeweiligen Pferdes in unterschiedlichen Situationen. 

Wir sollten üben, unsere Pferde wirklich zu sehen.

Was wir lernen dürfen, ist Pferdeverhalten zu sehen, ohne es zu interpretieren. Denn das was tatsächlich stattfindet, und unsere Interpretation dessen (die auch auf unseren eigenen Lernerfahrungen und Prägungen beruht) sind zwei paar Schuhe.

Daher: Nimm dir einfach mal die Zeit und beobachte dein Pferd, möglichst ohne das Verhalten direkt einordnen zu wollen. Wie verhält sich das Pferd in unterschiedlichen Situationen? Wie sieht es aus, wenn es angespannt ist, wie verändert sich das Verhalten, wenn es wieder entspannt? Wie steht es zu anderen Pferden? Und hier ist es tatsächlich sehr bereichernd, wenn man diese Frage nicht versucht, über eine vermeintliche Rangordnung zu beantworten, sondern das Pferd wirklich einfach in der Interaktion mit anderen Pferden zu beobachten. Vermutlich wirst du feststellen, dass dein Pferd sich manchen Pferden gegenüber sehr anders verhält als anderen. Und dass der Kontext eine wichtige Rolle spielt. Was lässt auf eine Freundschaft schließen, was auf eine Antipathie? Pferdeverhalten ist sehr nuanciert und sieht in jeder Pferdeherde etwas anders aus. 

Wo beginnt die Freundschaft mit Pferden?

(C) Xenia Bluhm

Wenn wir das Verhaltensspektrum der Pferde grundsätzlich kennen und einordnen können und wissen, wie unser eigenes Pferd kommuniziert, lässt sich auch sein Verhalten uns gegenüber leichter lesen. Je besser wir darin werden, die leise Sprache der Bewegung unseres Pferdes zu verstehen, desto tiefer wird der Dialog, in den wir mit unserem Pferd gehen können. Wenn wir davon ausgehen, dass Pferde Bindungen über viel gemeinsam verbrachte Zeit und geteilten Raum, über synchrone Bewegungen und – irgendwann – über gemeinsame Erfahrungen aufbauen: Wie können wir den Alltag mit dem Pferd so gestalten, dass sich die Bindung vertiefen kann? Wie lässt sich vielleicht jenseits des Reitens etwas “Freundschaftszeit” einräumen, in der wir wirklich “Freundschaftspunkte” bei unserem Pferd sammeln können? 

Für uns Reiter erfordert das meist nicht weniger als ein Umdenken in unserem Verhalten und unseren Gedanken über unsere Pferde: Wenn wir die Freundschaft wirklich in den Mittelpunkt rücken wollen, müssen wir üben, unsere Ziele (zumindest für den Moment) loszulassen. Wegkommen von dem Wunsch, das Verhalten des Pferdes in irgendeiner Weise manipulieren zu wollen und ein bestimmtes Ergebnis zu erzielen. Zu merken und, noch viel schwieriger, zu akzeptieren, wenn das Pferd auch mal “nein” sagt. Tatsächlich unverplante Zeit mit ihm zu verbringen. 

Und wir müssen uns ehrlich fragen, ob das Training, so wie wir es momentan gestalten, die Freundschaft fördert oder im Gegensatz zu ihr steht. “Jedes Training ist Verhaltensmanipulation. Aber nicht jedes Training fühlt sich für das Pferd gleich an,” ordnet Jessie Sams ein. Um hier tiefer zu graben, macht es nicht nur Sinn, sich mit dem Stressverhalten und der Wirkungsweise von unterschiedlichen Stressformen auseinanderzusetzen, sondern auch die eigene Trainingstechnik herunterzubrechen und zu verstehen: Wann arbeite ich z.B. mit negativer und wann mit positiver Verstärkung? Gibt es entspannte Phasen? Situationen, in denen das Pferd (mit-)entscheiden darf? Gibt es Momente der Abwehr, der Flucht oder des Einfrierens? Wie verhält sich mein Pferd im Training? Was mag es wirklich, was weniger? Wie verhalte ich mich wohl in den Augen des Pferdes? Sind unsere Berührungen gegenseitig und positiv oder durchgängig sehr einseitig? Wann fühlt es sich wirklich nach “Softness”, nach einer inneren Harmonie zwischen Pferd und Mensch an? Und in welchen Momenten beende ich die Trainingssituation? 

All diese Fragen können uns unserem Pferd Schritt für Schritt näher bringen. Je bewusster wir uns werden, was wir mit dem Pferd tun, wie wir die gemeinsame Zeit verbringen, was für Erfahrungen es mit uns macht und je besser wir unser Pferd kennen, desto leichter lässt sich unsere Beziehung positiv entwickeln. Nicht von heute auf morgen, aber in einem langsamen, lohnenswerten Prozess. Das alles erfordert unseren Mut. Mut, uns einzugestehen, dass wir uns vielleicht mehr auf die Techniken und Hilfsmittel verlassen, als auf das Vertrauen in unser Pferd und unsere Beziehung zu ihm. Mut zuzulassen, dass nicht von vornherein alles läuft wie im Film. Mut zu erkennen, dass wir uns in der Vergangenheit vermutlich nicht immer freundschaftlich verhalten haben. Aber es bringt uns unserem Ziel näher, eine echte Freundschaft zu unserem Pferd zu haben. Und sind wir dafür nicht ursprünglich alle mal angetreten? 

– Dieser Artikel ist in der FEINE HILFEN, Ausgabe 43, erschienen. Die englischsprachige Version findest du hier. –

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